Sonntag, 20. Oktober 2019

Schreibverbot! Das fehlte grade noch...

Endlich wieder ein paar Zeilen vom kleinen Höfchen mitten im Wald in Estland - ich widersetze mich dem ärztlich verhängten Schreibverbot wegen einer Nervengeschichte, die meiner rechten Hand schmerzhaft zu schaffen macht, schließlich will ich nicht, daß meine Leser sich Sorgen machen und natürlich gibt es einiges an Neuigkeiten!

Abschied von einer Ikone...
Helbe im Winter 1996
Mein halbes Leben hat sie mich begleitet, sie war immer präsent, immer problematisch und sie hat mir viel beibringen können. Helbe. Im Herbst 1994 als verhungerndes, spilleriges Fohlen gekauft, schon damals mit einem legendären Dickschädel ausgestattet, wurde sie zu meiner eigensinnigen Begleiterin über immerhin 25 Jahre. Ihre enorme Eigenständigkeit und ihr beharrlicher Eigensinn forderten immer meinen Respekt. Unvergessen, als sie ein Fohlen zur Welt gebracht hatte, mir das kleine Tierchen zustupste und auf die Koppel zum Grasen trabte - "du wolltest ein Fohlen, jetzt hast du eins". Unvergessen die Nacht, als sie hinter dem Schlafzimmerfenster stand mit dem nächsten Fohlen, woher auch immer sie wußte, wo sie mich finden würde?



Helbe war von einer unbeschreiblichen Präsenz, zu ihr ging ich, wenn etwas passiert war, bei ihr konnte ich mich anlehnen. Und dann war sie ganz sanft und einfach für mich da. 25 Jahre hatten wir zusammen, mein halbes Leben, sie war für den Hof wie eine Institution, sie gehörte dazu. Jetzt wird sie vom Pferdehimmel ihr kritisches Auge über mir halten und für mich da sein, wenn ich sie brauche...


Gleich darauf, als dürfe ich nicht zur Ruhe kommen, stand ich am Verkaufsstand für meine kleine Firma HobuLove auf dem ersten richtig großen Open-Air Turnier in der Ostseestadt Pärnu bei unbeschreiblich wunderbarem Wetter. Immer wieder blies der Wind herrliche Meerluft heran und mit meinen zwei gutgelaunten Helfern war es wie ein kleiner Urlaub am Meer. Darüberhinaus trugen gutgelaunte Kunden, ein hervorragend organisiertes Turnier und eine tolle Helferin auf dem Hof zur Ferienstimmung bei.

Pärnu Classic im August 2019


Noch immer aber war die Hand nach dem Bruch nicht ganz so einsatzfähig, wie ich mir das gewünscht hätte und noch immer hatte ich Schmerzen, aber das Leben auf dem Hof forderte mich und bei herrlichem Wetter gingen mir die Routine-Arbeiten doch immer leichter von der Hand, ich brachte bei herrlichem Herbstsonnenschein das Brennholz in die Scheune, reparierte die Elektrozäune, versorgte zwischendurch die gerade geschlüpften Nachzügler-Küken und begrüßte den wieder auf dem Hof erschienenen Kater Sultan, der den ganzen Sommer woanders verbracht hatte.

Mein Vater plante, etwa Mitte September zu kommen, ihn hatte ich eindringlich vorgewarnt - Fohlenwache stand an, ausgerechnet bei der noch immer mißtrauischen und mitunter unberechenbaren Stute Uteha aus der Ukraine. Sie war die Tage ihrer Trächtigkeit noch scheuer geworden, noch weniger gewillt, sich berühren zu lassen, trotzdem kontrollierte ich gut zuredend ihr Euter, was sie sich erstaunlicherweise gefallen ließ. Am Halfter konnte ich sie nicht mehr greifen. Und als ich eines Abends entschied, wegen der bald anstehenden Geburt das Gatter zur großen Koppel zu schließen, schien sie das geahnt zu haben: sie lief vor mir weg und das Gatter blieb offen. Ich wußte, daß es nun nicht mehr lange dauern würde, nun standen die Nachtwachen an. Aber nur eine Stunde hielt es mich im Haus, dann packte ich mich warm ein, setzte die alte russische Fliegermütze auf, schnappte die Kopflampe und suchte in der stockfinsteren Nacht nach Uteha. In der tatsächlich hintersten Ecke der Koppel fand ich sie und neben ihr stakste ein ungelenkes sahnetortenfarbenes Hengstfohlen geradeswegs durch den Elektrozaun.

erst 12 Stunden alt!
Sofort telefonierte ich nach Hilfe und zum Glück hatte ich einen Pferdebesitzer vorgewarnt, er war schneller da als erwartet. Das gar nicht kleine Fohlen hatte längst das Euter gefunden und schon mehrfach getrunken, aber da die Nachgeburt nicht ausgetrieben wurde, rief ich den Tierarzt. Mir war klar, daß für alle weiteren Maßnahmen Uteha und Sohn in den weit entfernten Unterstand gebracht werden mußten, was bei der uns abwehrenden Stute praktisch unmöglich erschien. Es wurde immer kälter, langsam glitzerten die Gräser um uns herum, der erste Nachtfrost. Zum Glück beeilte sich der Tierarzt und er wußte ganz genau, wie man eine mißtrauische Stute mit ihrem wackligen Fohlen manövrieren konnte und im Unterstand angekommen waren die Nachgeburtprobleme schnell behoben, nun war erst einmal alles überstanden. Ich bedankte mich erschöpft bei den helfenden Händen und dem nachts erschienenen Tierarzt - nun erst spürte ich meine eiskalten Füße und ebenso klammen Finger. Kaum im Haus schnappte ich mir die Wärmflasche und kochte heißen Kräutertee. Es war 4  Uhr morgens und nun erst einmal ab ins Bett...

Mein Vater hatte also Glück und mußte sich die erstaunlich kalten Nächte nicht um die Ohren schlagen, er war für wenige Tage gekommen, um die Beleuchtung der beiden neuen Unterstände zu installieren - wobei er sich immer wieder begeistert von diesem kleinen Fohlen ablenken ließ. Kein Wunder: der erst wenige Tage zählende Kleine flog geradezu  in gestrecktem Galopp über die Koppel. Mir selbst gefiel dieses kleine isabellfarbene "Barbiepferd" erst einmal gar nicht. Und da die Mutter den Kleinen abschirmte, war auch nicht an ihn heranzukommen. Aber Fohlen... die wissen das ja alles nicht... die sind einfach nur da und irgendwann fangen sie an, die Welt zu erkunden, sehen sich alles genauer an - und als eines Tages der Kleine seine Nase nach mir ausstreckte und mich mit seinen Tasthaaren im Gesicht kitzelte, war es doch um mich geschehen! Inzwischen hat er auch seinen Namen erhalten: Hamlet -uw-

Uteha und Hamlet im Oktober 2019


Kaum war mein Vater abgereist, hatte ich keine Ausrede mehr: die Tallinn International Horse Show stand vor der Tür und ich hatte genau 8 Tage Vorbereitungszeit für die beiden Stände auf der größten Pferdeveranstaltung Estlands. Ich zeichnete, maß die Flächen aus, zählte Ware, packte, stapelte, organisierte. Schließlich war es vollbracht: der Stand des Alt-Tori Zuchtverbands mit der begehrten Verlosung war aufgebaut und auch hier standen wieder motivierte, ehrenamtliche Helfer zur Seite. Und gleich daneben besuchten mich die besten Reiter Estlands an meinem Stand von Hobulove, wo ich nicht nur unglaubliche Mengen an Pferdeleckerli verkaufte, sondern auch HAAS-Bürsten, unzählige Halfter, Stricke, Longen...




Genau auf dieser Veranstaltung schaffte ich es offenbar, meine noch nicht so ganz regenerierte rechte Hand falsch zu belasten. Immer wieder stechende Schmerzen und abwechselnd taube und kribbelnde Finger zeigten sehr deutlich, daß ich kürzertreten müßte. Nun trage ich zeitweise die von der Neurologin verordnete Schiene, die tatsächlich schon Wirkung zu zeigen scheint und hoffe, daß eine Operation umgangen werden kann...Und halte mich ab jetzt wieder an die verordnete Computerpause.